Das "Werk" ist apostrophiert; die Homepage der www.kulturlau.be nach einem mehr als ein Jahr währenden Stillstand aktualisiert. Das neue Layout entstand schon 2021 mit Unterstützung der Globalkultur Kunst und Kulturelle Bildung gGmbH, selbst noch in Kinderschuhen und mit den ersten Gehversuchen, gegründet im Pandemie-Ausnahmezustand. Der Garten als offener Ort unter freiem Himmel konnte noch am besten bespielt werden, während die Vereinsaktivitäten des Kleingärtnervereins (KGV) Am Grüngürtel e.V. im Vereinsheim zum Ruhen kamen. Auch das Sommerfest des Vereins traditionell am letzten Wochenende der Schulferien konnte erst 2022 wieder stattfinden.
Die Kulturlaube präsentierte 2021 zwei Veranstaltungen: eine musikalisch-literarische Darbietung unter dem Stichwort "GedankenTanz" und eine Lesung mit Musik mit dem am 26. August 2022 verstorbenen Kollegen Dr. Ulrich Schröder am 15. August 2021 mit Jaana Redflower, die sang, Gitarre spielte und das Manuskript von Uli Schröder illustriert hatte, der mit Uri Bülbül im Dialog den Veranstaltungstitel gefunden hatte: "Koalas sind Bären, weil Wale Fische sind!"
Wie sieht es wohl im Paradies aus und wie mag es sich anfühlen, dorthin zu reisen und wieder zurück? Wenn Ihr Euch diese Frage auch schon einmal gestellt habt, dann solltet Ihr am 15. August mit uns ins Koalaland fliegen!
schrieb Uli Schröder in seiner Ankündigung der Veranstaltung. Kurze Zeit darauf hatte er noch einen öffentlichen Auftritt im Bochumer Stadtpark und kam anschließend zu einem ausgedehnten Frühstück mit seinen Freunden aus dem Publikum in die Kulturlaube, wo er nun schmerzhaft vermisst wird. Wir hatten noch eine Menge gemeinsamer Kulturlaubenpläne.
Der Begriff des offenen Kunst"werk"s hatte sich noch nicht so deutlich entwickelt, die Idee sich uns noch nicht so deutlich gezeigt. Die Praxis in der Kulturlaube aber legte es schon von Anfang an nahe, 2021 waren die Gespräche leider noch sehr covid-dominiert.
Das Wort "Werk" wird in seiner Verbindung mit offener Kunst deshalb apostrophiert, weil die offene lebendige Kunst prozessorientiert und prozessbetont ist und nicht allein vom Produkt, Ergebnis, vom Werk her verstanden werden kann. Der Gedanke, dass der Gegensatz "Natur-Kultur" auf einer Fehlannahme beruht, weil der Mensch sich fälschlich als außerhalb der Natur stehend versteht, ist alles andere als neu und findet sich auch in dem Brechtschen Aphorismus wieder, in dem Brecht schreibt: wenn die Spinne denselben Natur-Begriff hätte wie der Mensch, dann wäre ein Gartenstuhl Natur und ein Spinnennetz Kultur.
In der Kulturlaube aber erst wurde es für mich so sinnlich deutlich, dass im Garten all die Bäume keine von Menschen unberührte und selbständige Natur sind, sondern Kultivierungen, Kreuzungen, Veredelungen, Züchtungen. Der Garten ist also nicht ein Stück Natur im Sinne des Gegensatzpaares Natur-Kultur, was er ist lässt sich so nicht recht beschreiben, sondern womöglich besser mit den Attributen "lebendig" und "leblos".
Ein Werk im Museum ist ebenso leblos wie ein aufgespießter Schmetterling in der Sammlung eines Insektenforschers. Also wird man nicht verstehen, was Kunst vermitteln kann, wenn man einzig und allein vor den Werken steht. Vielmehr beginnt das "ver"stehen erst, wenn ein Prozess der Verinnerlichung im Wechselspiel zwischen Betrachten und Projizieren beginnt. Und beides muss im Interpretationsprozess kommuniziert und mit anderen geteilt, anderen mitgeteilt werden. Verstehen ist ein sozialer Prozess und findet nicht ausschließlich in der isolierten Kontemplation statt. Wer versteht, will auch mitteilen und ändert auch seinen eigenen Standpunkt und steht mit seinem Verständnis an einem etwas verschobenen Punkt.
Diese Überlegungen machen das offene Kunst"werk" aus. Der kreative Prozess bei der Sinngebung durch die Rezeption und Interpretation projiziert nicht nur Inneres auf das Kunstwerk, sondern macht aus der Deutung eine Be-Deutung, indem er Sinn verinnerlicht.
Hierzu kann man im Bereich der bildenden Kunst auf Joseph Beuys Gedanken zurückgreifen, wenn er vom "verstehen" als "versetzen" spricht. Man steht nicht einfach vor einem Kunstwerk, sondern "ver-steht" (sich mit dem Kunstwerk), indem man sich in das Kunstwerk stellt und das Kunstwerk in sich aufnimmt quasi ins eigene Innenleben inkorporiert.
Es gibt die Anekdote von Samuel Beckett, der gefragt, was er denn mit "Warten auf Godot" habe sagen wollen, geantwortet haben soll: genau das, was Sie auf der Bühne sehen und hören, hätte ich etwas anderes sagen wollen, hätte ich etwas anderes geschrieben.
Das kann man als eine antihermeneutische Haltung der l'art pour l'art verstehen, man kann aber auch eine Parallele von Theaterliteratur und bildender Kunst nach Joseph Beuys entdecken. Wir müssten eigentlich auf den Schultern der Klassiker der Moderne stehen, statt dessen aber sitzen wir in der Kulturlaube und denken uns einen epikureischen Garten als ein offenes Kunst"werk".
Uri Bülbül, Bochum 18. Januar 2023